Loredana Nemes - Beyond

masterpiece edition - Geschrieben am 12.02.2015

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Beyond

Bei Nacht fotografierte Loredana Nemes tuerkische Berliner Cafés und deren männliche Besucher, die sie hinter den milchigen Glasscheiben dieser verhüllten Orte portraitierte. Entstanden sind dabei keine Portraits im konventionellen Sinne, sondern erstaunliche Nahansichten verschleierter Männergesichter. »Ich fotografiere ihre Außenmembran, die uns die Innenwelt nur schemenhaft andeutet und die Trennung zwischen den Welten visualisiert«, schreibt die Künstlerin über dieses Sinnbild einer kulturellen Kluft. In ihrer neuen Serie Der Auftritt lässt sie in der Außenmembran ihrer Protagonisten eine Öffnung entstehen, durch die wir Einsicht erhalten in eine verborgene, innere Welt von stiller Schönheit jenseits gesellschaftlicher Maßregeln.


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Zwei Jahre zog Loredana Nemes durch die Straßen von Wedding, Kreuzberg und Neukölln und suchte die spannendsten Motive für ihr Projekt. 

1984. Während eines sechsmonatigen Aufenthalts im Iran erlebt die damals 12-jährige Loredana Nemes die Kultur der getrennten Lebensräume für Männer und Frauen als völlig fremd und radikal andersartig. So eine Tradition gab es in ihrem Heimatland Rumänien nicht. Neugierig, wie sie schon immer war, klopfte sie an die Tür eines Raums, der ausschließlich Männern vorbehalten war. Sie hatte sich einen Vorwand einfallen lassen, warum sie unbedingt ihren Vater sprechen müsse. "Ohne abzuwarten, dass man mich einließ, öffnete ich die Tür und sah, wie eine große Shisha, eine Wasserpfeife, rumgereicht wurde. Alles war so neblig, verraucht", erinnert sich die Künstlerin und betont, dass sie diese unbekannte Umgebung geheimnisvoller fand als die sichtbare Umgebung der Frauen, die sie als "erfassbar" erlebte, weil hier gekocht, gegessen und gespielt wurde.

25 Jahre später. Auf dem nächtlichen Heimweg von ihrem Studio in Berlin-Mitte über Kreuzberg in ihre Wohnung nach Neukölln nimmt Loredana Nemes die hell beleuchteten orientalischen Lokale in Berlin besonders intensiv wahr: "Ich war von ihnen angelockt, getrieben durch den Impuls aus meiner Kindheit und durch Neugier."

Daraus entwickelt sie die Idee, von außen in diese Orte hineinzuschauen, ohne je das Innere zu betreten. Ihre Aufnahmen durch die großen, beschlagenen Fensterscheiben in die hell erleuchteten Räume sind magisch aufgeladen. Nur andeutungsweise geben sie etwas von ihrem Inneren preis und von den Menschen, die sich in ihnen aufhalten.

Die in "Beyond" abgebildeten Fotos schaffen jedoch trotz persönlicher Kontakte mit den Kaffeehausbesitzern eine Distanz zwischen den BetrachterInnen und den abgebildeten Cafés. Faszinierend und beklemmend zugleich wirken die Fensteransichten und die Portraits des Bildbandes. Kaum ist zu erahnen, was sich hinter dem Milchglas tatsächlich abspielt. Die Fotografien dokumentieren eine bewusste und fast schon provokante Abschottung von der Öffentlichkeit. Mit den Portraits hingegen, die den zweiten Teil des Bildbandes ausmachen, geht die Fotografin einen Schritt weiter. Die "visuelle Grenze" erscheint nicht mehr vollkommen undurchlässig.



LOREDANA NEMES - BEYOND

Mit einem Text von Janos Frecot