Mythen und Identitäten – Almagul Menlibayeva

masterpiece edition - Geschrieben am 04.02.2015


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Von Sebastian Moll  

„Es muss eine Kommunikation auf der unterbewussten Ebene geben. Sonst wird es langweilig.“


Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin ist gut gealtert. Der Bau strahlt auch nach 60 Jahren noch jene Kühnheit und Euphorie aus, die seine Stiftung einst motiviert haben – jener Glaube an den Aufbruch in ein neues Zeitalter der Völkerverständigung und des Internationalismus, von dem seine Erbauer beseelt waren.


Es kann wohl keinen passenderen Ort geben, um sich zu einem Gespräch mit Almagul Menlibayeva zu treffen. Die Kasachin ist Wahl-Berlinerinnen und beschäftigt sich mit der Spannung zwischen Tradition und globalisierter Moderne und mit der schwierigen Aufgabe, in diesem Zusammenhang so etwas wie Identität zu finden - oder besser - zu erschaffen.



In den Bildern, Videos und Collagen greift Alamagul Menlibayeva Erzählungen und Mythen indigener Kulturen auf und adaptieren sie in ihren jeweiligen Medien. Die Bilder loten die Kraft von Mythen aus, in denen Frauen neue Wege eines Selbstverständnisses in einer Welt aufzuzeigen, in der die vorgegebenen Rollen als ungenügend, eng oder repressiv empfunden werden. Almagul, vielleicht kannst Du etwas über Deinen künstlerischen Prozess verraten?



Almagul:


Es gibt in jeder Kultur eine ganz bestimmte Art des kollektiven Geschichtenerzählens. Das finde ich ungeheuer faszinierend. An Orten wie hier in Berlin hat man die Illusion, dass die Natur für Dich da ist, das man sie für seine Zwecke formen kann. Man denkt, dass der Mensch wichtiger ist als die Natur. In einer mythologischen Weltsicht, ist der Respekt für die Übermacht der Natur noch intakt, ist fester Bestandteil des Unterbewussten.



Wann hast Du angefangen, Dich für Mythen zu interessieren?


Ich bin in der Sowjetunion aufgewachsen, ich war vollkommen von meiner Geschichte und meiner Tradition abgeschnitten. Die einzige Geschichte, die wir hatten, war die bolschewistische Ideologie, der dialektische Materialismus. Dann fiel die Sowjetherrschaft auf einmal weg und man begann sich zu fragen, wer man eigentlich ist. Also haben sich viele von uns mit unserer Tradition auseinander gesetzt. Für mich als Frau warf das jedoch wieder neue Probleme auf, weil mir mein Platz in dieser Tradition, in dieser Mythologie, auch nicht besonders gut gefiel. Inder Sowjetunion gab es immerhin ein gewisses Maß an Emanzipation und Gleichberechtigung. Man bleibt also in diesem Zwiespalt hängen, in dem man nirgendwo richtig hin gehört.



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War die kasachische Kultur in der Sowjetzeit vollkommen tabuisiert?


Öffentlich hat man sich vollkommen zur Sowjetideologie bekannt. Ich habe in meiner Ausbildung praktisch ausschließlich den sozialistischen Realismus und den Futurismus kennen gelernt. Aber privat, in der Familie, hat man natürlich bis zu einem gewissen Grad weiter seine Kultur gelebt. Man hat also immer noch eine tiefe Verbindung zu seiner Tradition gehabt aber das ließ sich nicht in das öffentliche Leben der modernen Sowjetunion übertragen. Man musste immer etwas weglassen, immer etwas ausblenden. Es war eine sehr interessante aber auch eine sehr schmerzhafte Erfahrung.


Wie hast Du dann nach dem Kollaps der Sowjetunion wieder an deine eigene Tradition angeknöpft?


Ein wichtiges Erlebnis für mich war das Gespräch mit meiner Großmutter. Ihre Familie lebt auf dem Land, sie wurde, wie alle Nomaden in den 20er Jahren zwangsangesiedelt. Sie hat einen männlichen Namen und ich habe sie gefragt, warum sie einen Männernamen hat. Sie hat mir erzählt, dass es in den 20er Jahren eine Hungersnot gab. Als ihre Mutter mit ihr schwanger war, hat der Schamane ihr geraten, ihrer Tochter einen Jungennamen zu geben, weil er glaubte, dass sie als Mädchen keine Überlebenschance haben würde. Für mich war das sehr eindringlich. Das nackte Überleben war mir als Kind auch vertraut und so habe ich eine starke Verbindung zu meiner Großmutter aufgebaut. Aber ich glaube immer noch, dass ich als moderner Mensch nicht wirklich die kasachische Tradition verstehen kann. Man kann das nicht intellektuell lernen, wenn die Verbindung einmal abgeschnitten ist. Wenn ich mit meiner Großmutter gesprochen habe, bin ich immer die Russin geblieben. Genau so, wie wenn ich ins Ausland komme. Ich bin aber keine Russin.


Deine Arbeit hat viel mit diesen Kampf zu tun, eine Identität zwischen den Kulturen zu finden.


Ja, ich versuche, den Bruch mit der eigenen Identität, der nicht zu überbrücken ist, in meiner Arbeit irgendwie aufzulösen. Ich habe mich beispielsweise mit dem uralten Bild der Frau als eine Art Fee beschäftigt, einem Bild, das in Zentralasien noch aus den prä-islamischen Kulturen stammt. Es war für mich sehr spannend, wie dieses Bild, dieser Mythos, im Lauf der Geschichte immer wieder neu besetzt wurde. Zuerst waren die Frauen etwas beinahe Göttliches, dann wurden sie im Islam als etwas Böses, Gefährliches gesehen. Ich baue daraus mein eigenes Märchen.



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Du versucht aus Mythen und Geschichten einen Zugang zur eigenen Identität zu finden?


Ja, es ist natürlich immer persönlich. Ich schaue mir fremde Kulturen an, aber es ist immer auch eine Suche nach der eigenen Kultur. Kultur ist ohnehin nichts, was irgendwie fest oder greifbar ist. Mythen in der Geschichte werden ja immer wieder umgedeutet. Am Ende geht es doch darum, wie wir uns mit unserer spezifischen kulturellen Identität zu einer immer globaler werdenden Kultur verhalten. Und das ist universell, damit müssen wir uns alle auseinander setzen.


Wie haben denn die Menschen in Kasachstan auf deine Kunst reagiert?


Ich war mir klar, dass ich elementare Aspekte der Kultur richtig getroffen haben, dass die Leute etwas erkannt haben, was ihnen vertraut war. Das hat mich sehr glücklich gemacht. Die Kritik, geht hingegen meistens dahin, dass die Mythologie über Gebühr glorifiziert wird – eine Kritik, die meistens von Männern kommt. Sie finden das irgendwie bedrohlich.


Du arbeitest mit Fotografie, um Geschichten zu erzählen. Warum dieses Medium?


Für mich ist Fotografie eine natürliche Erweiterung der Malerei. Man kann in der Fotografie leicht die Sprache verwenden, die in der Malerei entwickelt wurde. Durch die Technologie ist man aber viel freier. Außerdem finden die Menschen leichter Zugang zur Fotografie, man erreicht die Menschen besser. Ich finde auch, dass die Fotografie ein wunderbares Werkzeug ist, um die Kultur zu verändern. Wenn es etwa um das Frauenbild geht, gibt es kaum eine wirkungsvollere Art, die Wahrnehmung heraus zu fordern und zu verändern. Fotografie spricht direkt das Unterbewusste an und somit ein sehr tief sitzendes kulturelles Wissen.

Durch die Digitalisierung ist der dokumentarische Status der Fotografie noch unsicherer geworden. Digitale Fotografie ist doch von vornherein eine Art Komposition, es wird nicht mehr wortwörtlich etwa festgehalten.

Mir ist auch wichtig, dass meine Bilder etwas Unsicheres, opakes behalten. Ich arbeite ja sowohl mit Video als auch mit Fotografie und im Hintergrund meiner Arbeiten stehen Geschichten. Ich will aber auf keinen Fall wie in einem Hollywood-Film eine lineare Geschichte erzählen. Das wäre keine Kunst mehr. Das Unterbewusste soll Raum haben, zu sprechen. Es muss eine Kommunikation auf der unterbewussten Ebene geben, eine Verständigung, die man nicht erklären kann. Sonst wird es langweilig.


Du lebst und arbeitest in Berlin. Was gefällt Dir an Berlin als Standort?


Berlin ist für mich sehr interessant, weil wir hier den unmittelbaren Kontrast von Ost und West haben. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir uns in der Welt nach dem Kalten Krieg entwickeln. Berlin ist ein großes Labor. Man kann hier sehen, wie die Kulturen einen Dialog finden, wie eine neue Generation sich annähert.

   


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