Roland Fischer - Ein Blick auf die Kulissen der Macht

masterpiece edition - Geschrieben am 01.06.2015

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"In New York gab es vor vielen Jahren ein Restaurant, dessen Wände große Schwarz-Weiß-Luftaufnahmen von wichtigen Metropolen dieser Welt bedeckten:
New York, Paris, London, Buenos Aires, Rio de Janeiro, Mexiko-Stadt, Caracas, Chicago, Los Angeles. Bei jedem Besuch betrachtete ich diese Topografie urbanen Wachstums mit starker Faszination und zunehmender Hoffnungslosigkeit. Die Städte weckten in mir ein Gefühl von Pracht, doch auch die eher unangenehme Erkenntnis, dass sie einander alle ähnelten, denn die Formen der Erfahrung, die sie verkörperten, waren grundsätzlich gleichartig und gestaltet durch identische Entwicklungen. Abweichungen, die früher durch Sprache, Klima, Geschichte und physikalische Geografie befördert wurden, ließen sie nicht mehr zu."


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Die moderne Stadt war der Verkünder des weltweiten Kapitalismus mit vereinheitlichten Wünschen und marginalisierten Unterschieden. Dieses Phänomen hat in einer Welt, der ihr eigenes Wachstum zur Last wird, noch zugenommen. Das Überleben des Menschen ist in einem anderen System nicht mehr vorstellbar, wahrscheinlich aber auch nicht mehr in diesem. Hongkong, Beijing, Guangzhou oder Dubai ergänzen die Weltkarte der modernen Architektur, allerdings ohne ihre Ursprungsmythen. Die heutige Stadt entwickelt sich nicht, wie die Mitglieder des Bauhauses sie sich vorstellten, als eine die soziale Erneuerung vorwegnehmende Herausforderung an die Gestaltung, sondern als der Ausdruck ökonomischer Gesetze, Verhältnisse und technologischer Anwendungen. Das Ergebnis ist an allen Orten dasselbe: anstelle einer als Gesamtheit gestalteten Stadt wie Chandigarh oder Brasilia der unternehmerische Auswuchs von Schanghai, eine ganz andere Form der Rationalisierung, das zufällige Ergebnis lokaler, aber universell einheitlicher Entscheidungen. 

In der Praxis hat sich die zeitgenössische Stadt wegen der für die progressive Vorstellungskraft unvorstellbaren ökonomischen Unterschiede formal als weniger einförmig erwiesen: Luanda, Mexiko-Stadt, New Orleans, die grenzüberschreitende Megalopolis der Bucht von Benin.

Die Architektur ist beim Aufbau eines globalen bildlichen Esperanto als der formgebende Prozess dieser hyperrationalisierten, aber nicht zielgerichteten Verstädterung miteinbezogen. In dieser Schilderung erscheinen die Anstrengungen einzelner Architekten, so radikal ihre Meinungsverschiedenheiten, so visionär ihre Beiträge auch sein mögen, als an den Rand gedrängte Events, die lediglich die Peripherie einer weitaus größeren Zustandsbeschreibung abstecken. Wie poetische Ausdrücke etwa die Grenze zwischen dem weitgehend funktionalen und dem eigenwilligen, nicht zweckgerichteten Sprachgebrauch markieren. Roland Fischer hat, wie schon im Genre der Porträtfotografie, die Analyse einer formalen »Sprache«, hier der modernen Architektur, zu einem Endpunkt geführt.


Roland Fischer nimmt in der Kunst des ausgehenden 20. Jahrhunderts und des beginnenden 21. Jahrhunderts
eine bedeutende Position ein. Er experimentierte von 1980 an als Erster unter den jungen deutschen Fotografen
mit großformatigen Portraitaufnahmen und hat damit der Fotografie eine neue Bildhaftigkeit verliehen.